Dienstag, 6. Mai 2008
Hübsch ist nicht gleich schön.
Als Gewinner fühlt man sich ja meist großartig. So unbeschwert. Praktisch ohne Gegenleistung wird man erfüllt, darf sich etwas aneignen, was man sich sonst nicht gönnt. Das Gewinnen an sich hat bei mir in der vergangenen Zeit eine solche emotionale Höhe gewonnen, die eigentlich nicht so gut ist. Denn wenn man sich über Gratis-Leistungen so freut, ist die Frage nicht weit, warum man sich über seine eigenen Leistungen nicht so ausgiebig und unbeschwert freuen kann. Stolz sein, sich auch mal selber auf die Schulter klopfen, ohne dass man sich vor anderen lächerlich macht. So mal eben ein anerkennendes, selbstzufriedenes "Jau".

Jedenfalls war ich am Wochenende ein ausgesprochener und zudem sehr glücklicher Gewinner. Unter anderem eine Bahnfahrt in der ersten Klasse der Deutschen Bahn war im Freudenpaket enthalten. Einmal, nein, sogar zweimal erster Klasse fahren, darunter stellt man sich ja mal ein wenig Luxus vor. Ein wenig mehr Service, Beinfreiheit und gratis Zeitung lesen.

Doch, oh Schreck, es gibt ja noch Mitreisende. Sonntags von Berlin gen Südwesten.

Im ersten ICE-Wagen hinter dem Fahrer bekam ich es mit dem freudlosen Teil der durchkapitalisierten deutschen Masse zu tun. Ganz so, als ob jemand einen unsichtbaren A********komprimator in die Türen mit der "1" eingebaut hätte. Adrett gekleidete, unbedingt Erfolg versprühende Menschen, die solch eine Verachtung und Missgunst in ihren Fratzen hatten, dass mir Angst und Bange wurde. Ich habe mich gefühlt wie bei einer Mischung aus einem Boot-Camp für schwer erziehbare Jugendliche (US-Version feat. Colonel a. D.) und einem Seminar "Wie hinterziehe ich galant meine Steuern? (Und kann mit einer Stiftung noch soziale Verantwortung vorschieben geltend machen)".

Nicht, dass der real existierende Sozialismus hier und jetzt ausbrechen soll. Aber im Angesicht einer solch deformierten Masse wurde mir doch ganz schön schwummerig. Die Zugbegleiterin wurde von einigen Erstklässlern angesichts der ausgefallenen Wagenbeschriftung und Reservierungen mit einem leblosen Ding verwechselt. Eine sinnlose Hektik, Missgunst und barsche Kommandotöne, ja sogar Asozialität lagen über einem an sich sehr entspannten Nachmittag in einem wirklich bewundernswerten Verkehrsmittel.

Das Reisen scheint zu einem stressentwickelnden Dauerzustand in unserer hypermobilen Gesellschaft geworden zu sein. Und in diesem Waggon destillierte dieser Dauerzustand in einer teuer überschminkten abgrundtiefen Hasstirade auf alles und jeden. Ich möchte nach diesem Erlebnis gar nicht wissen, was so auf Langstreckenflügen von diesem Klientel so alles verbockt wird.

Ab sofort darf es gern wieder die 2. Klasse sein.

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